Maria - Mutter der Barmherzigkeit?
Es könnte vielleicht zwanghaft erscheinen, wenn man sich im Jahr der Barmherzigkeit zur Aufgabe macht, unbedingt etwas über Maria als Mutter der Barmherzigkeit schreiben zu müssen. In den traditionellen Kreisen der katholischen Kirche ist es heutzutage beinahe unproblematisch der Mutter Jesu beliebige Titel zuzuschreiben. Und es ist nichts Ungewöhnliches, vor allem für einen katholisch erzogenen Menschen, sich als Kind Mariens zu betrachten und sie mit verschiedenen Vollmachten und Eigenschaften ausgestattet zu sehen. Die Barmherzigkeit gehört sehr wohl zu solchen Vollmachten und Eigenschaften, nicht zuletzt, weil bereits der alttestamentliche Begriff rachamim, der im Hebräischen für die Barmherzigkeit steht, in sich etwas exklusiv Mütterliches birgt (rächäm = Mutterschoß). Es liegt in der Natur des Kindes sich bei der eigenen Mutter geborgen zu fühlen. Wenn man aber groß wird, ist es nicht mehr so "natürlich" an der leiblichen Mutter hängen zu bleiben.
Der Mensch sucht sich allerdings instinktiv andere Orte oder Bezugspersonen, bei denen er sich geborgen fühlt. Und es müssen nicht zwingend Orte und Menschen sein, die man greifbar erfahren kann. Es können durchaus Beziehungen mit Personen sein, die Teil unserer Glaubenserfahrungen geworden sind. Bevor sich die Menschen an Maria wenden konnten, gab es bereits die frommen Juden, die in ihrem Gott Jahwe und in seinen mütterlichen Eigenschaften ihre Zuflucht und Geborgenheit suchten oder Trost und Hoffnung schöpften. Die Vorstellung von einem strengen Gott und die Sehnsucht nach einem mütterlichen Gott begleiteten die Geschicke des Volkes Israel und begleiten auch die unsrigen. Mit der Geburt Christi kommt auch die verkörperte Barmherzigkeit Gottes zum Vorschein. Vor allem in Jesus selbst, der sich als Bote der Barmherzigkeit vielmals erkennen ließ (z.B. vgl. Joh 8,5ff; Lk 17,12ff). Abgesehen von den täglichen Werken der Barmherzigkeit, die ein frommer Jude ohnehin schon zu praktizieren verpflichtet war (vgl. Jes 58,6ff), besteht Jesus auf einer qualitativ höheren Barmherzigkeit als sie bei der Glaubenselite jener Zeit wahrgenommen wurde (vgl. Mt 5,20ff). In Bezug auf Maria bietet uns das Neue Testament nur wenige Hinweise, aufgrund derer wir uns eine Vorstellung machen könnten, wie sie die Barmherzigkeit verstanden und ausgeübt hat. Wir Menschen sind darauf angewiesen, was wir gelernt und als nachahmungswürdig erkannt haben. Der Mutter Jesu ging es bestimmt nicht anders. Ihr Vorteil allerdings war, dass sie nicht nur den klassischen Religionsunterricht von ihren Eltern erhalten hat, sondern später auch unmittelbar in die Schule Jesu gehen durfte. Und diese Glaubensschulen haben ihr beigebracht, vor allem auf die Nöte der Nächsten aufmerksam zu sein (vgl. Lk 1,36-56; Joh 2,3; 19,25). Es ist daher nicht falsch, wenn man Maria gewisse Kompetenz in Sachen der Barmherzigkeit zumutet. Was ist aber mit dem Titel "Mutter der Barmherzigkeit", den die Kirche spätestens seit dem 11. Jahrhundert (vgl. Salve Regina) Maria zuschreibt? Worauf soll da Bezug genommen werden? Wie schon oben angedeutet, Maria als Mutter Christi ist die Mutter der verkörperten Barmherzigkeit Gottes. Anders gesagt: Jesus ist die Barmherzigkeit und Maria hat diese Barmherzigkeit zur Welt gebracht, damit wir sie greifbar erfahren und besser nachahmen können. Wenn die Kirche oder die frommen Christen Maria als Mutter der Barmherzigkeit anrufen, so bekennen sie ihren Glauben an Christus, der die Barmherzigkeit Gottes darstellt. Diese Barmherzigkeit als vordergründige Eigenschaft Gottes wurde zwar schon in den Erfahrungen des alttestamentlichen Volkes Israel immer wieder geahnt und bekräftigt (vgl. Neh 9,17; Ps 103,8; 145,8-9 u.a.), jedoch erst durch das Kommen Jesu in diese Welt gab sie sich den Menschen deutlich zu erkennen. Ja, so deutlich, dass sie bei Vielen Misstrauen weckte und als Anstoß erregend und unzumutbar erchien (vgl. Mt 9,11-13) - und das nicht nur damals, sondern auch heute. Daher hört man immer wieder, leider gerade aus dem Mund der überdurchschnittlich frommen Christen, häufig die Bemerkung, dass zu viel über die Barmherzigkeit und zu wenig über die "Gerechtigkeit" gepredigt wird. Welche Gerechtigkeit wird da wohl gemeint sein? Die nach meinem privaten Verständnis? Oder doch die Gerechtigkeit Gottes, deren vollen Inhalt wir bei weitem nicht durchzublicken vermögen? Wenn wir also die Mutter der Barmherzigkeit anrufen, so wird es für uns bestimmt wohltuend und heilsam sein, wenn wir auch ihre Haltung annehmen und in aller Ruhe, Stille und Gelassenheit über diese Geheimnisse einfach nur nachdenken (vgl. Lk 2,19.51). fr. Fero M. Bachorík OSM |