Maria in der Bibel

Lukasevangelium


Die Betrachtung der biblischen Texte soll uns dazu bewegen, dass wir in unserem Leben gute Früchte bringen. Dies kann uns aber nur dann gut gelingen, wenn wir die "Heilige Schrift" zum "Wort Gottes" werden lassen, d.h., dass wir uns nicht damit begnügen, was "geschrieben steht", sondern uns bemühen auch hinzuhören und zu verstehen, was das geschriebene Wort "sagt". Erst dann kann in uns das schöpferische Wort eine menschliche Gestalt annehmen. Diesen Eindruck gewinnen wir gerade beim Betrachten der Kindheitsgeschichte Jesu im Lukasevangelium (Kap. 1-2), wo uns Maria als Jungfrau vor Augen geführt wird, die auf das Wort Gottes hört, darüber nachdenkt, daran glaubt und es weiter verkündet.

Der Evangelist Lukas malt Maria, Vasari Giorgio (+1574); Servitenkloster Florenz, Sala dei Pittori.

Der heilige Lukas gilt besonders in der orthodoxen Ikonografie als Autor zahlreicher Marienikonen. Da er uns in seinem Evangelium mehr als die anderen Evangelisten von Maria berichtet, hat er uns ein "Bild Mariens gemalt".


Sei gegrüßt, du Begnadete...

Wenn wir uns die Geburtsgeschichte Jesu nach Matthäus in Erinnerung rufen, in der die Verkündigung über Josef lief, merken wir sofort den grundsätzlichen Unterschied zum Lukasbericht (verfasst um 80 n. Chr.), der für eine im heidnischen Umkreis sich bildende Kirche geschrieben ist. Die Rede ist von der Verkündigungsbotschaft (1,26-38). Empfängerin ist nämlich eine Frau: Maria, die als Jungfrau aus Nazaret vorgestellt wird. Bereits die Anrede des Engels -"Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir" (Vers 28) - besagt, dass Maria für eine besondere Aufgabe von Gott auserwählt ist. Warum erschrickt sie über die Anrede (Vers 29)? Die Engelsworte lauten im Ohr eines/r Juden/Jüdin nicht fremd. Sie lassen die Hoffnung auf das Kommen des Messias erst recht aufblühen, denn so heißt es schon beim Propheten Zefanja 3,14-17: "Juble, Tochter Zion! Jauchze, Israel! Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt." Eben deshalb "überlegte" Maria, "was dieser Gruß zu bedeuten habe" (Vers 29). Sie will nicht nur bei der "Schönheit" der Anrede bleiben, sondern "überlegt", was sie persönlich mit dem Ganzen zu tun hat. Mit Hilfe des Engels - des Überbringers der Botschaft - begreift sie, dass gerade sie diese "Tochter Zion" personifiziert und es möglich machen kann, dass der ersehnte Messias, nämlich Jesus, der "Sohn des Höchsten" (Vers 32) in diese Welt kommt.



Wie soll das geschehen... ?

Maria zweifelt nicht daran, dass sie ein Kind empfangen und einen Sohn gebären wird (Vers 31). Sie will jedoch wissen, "wie" es geschehen soll, da sie keinen Mann erkennt (Vers 34). Mit dem Ausdruck -"Ich erkenne keinen Mann" wird die Jungfräulichkeit Mariens stark betont. In der Bibel behauptet keine andere Frau ihre Jungfräulichkeit so eindeutig wie Maria. Darum wird diese Aussage Mariens bereits bei den Kirchenvätern interpretiert auch als Ausdruck der Absicht Mariens, Jungfrau bleiben zu wollen. Doch diese Interpretation scheint für eine hebräische Religiosität wenig zutreffend, welche ihren Weg der Heiligkeit im erfüllten Eheleben sieht, im Sinne des ersten Gebotes: "Seid fruchtbar und vermehrt euch" (Gen 1,28). Allerdings, im Moment der Verkündigung steht die Jungfrau Maria für die Frohbotschaft offen und sagt, nachdem sie die Erklärung erhält, dass der Heilige Geist über sie kommen wird (Vers 35), frei und entschieden ihr "Ja" zum Plan Gottes: "Mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Vers 38).

Selig ist die, die geglaubt hat...

Die sogenannte Heimsuchungsgeschichte (1,39-56) zeigt uns nun Maria als Verkünderin der Frohbotschaft bei Elisabeth. Das empfangene Wort Gottes kann unmöglich zurückgehalten werden. Es wirkt ansteckend, überall wo man es hinträgt. Die Freude aus der Begegnung spürt Elisabeth um so mehr, weil die Mutter ihres Herrn zu ihr kommt (Vers 43). Diese Szene hat viel Gemeinsames mit der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem (2Sam 6,2-16), deshalb wird Maria auch "Bundeslade Gottes" genannt. Elisabeth, vom Heiligen Geist erfüllt, macht zwei wichtige Aussagen über Maria: Maria ist "gesegnet (gebenedeit, befähigt) mehr als alle anderen Frauen" (Vers 42); und Maria ist "selig", weil sie "geglaubt hat, was der Herr ihr sagen ließ" (Vers 45). Der Akzent fällt somit mehr auf den Glauben Mariens als auf ihre Mutterschaft: Weil sie von Gott befähigt wurde sein Wort zu vernehmen, weigerte sie sich nicht, ihm freiwillig auch ihren Gehorsam und Glauben zu schenken. Maria aber antwortet auf das Große, das der Herr an ihr getan hat, in der Form eines Lobgesangs, des Magnificat (Verse 46-55). Von dieser Antwort Mariens ließ sich schließlich auch die liturgische Handlung der Kirche inspirieren: die Liturgie gedenkt dessen, was Gott für unser Heil bewirkt hat und preist dafür seinen Namen. Der christliche Glaube ist von der Memoria (Gedenken) der Heilstaten Gottes grundsätzlich geprägt. Dies möchte der Evangelist am Beispiel Mariens auch klar hervorheben, indem er die Erzählungen von der Geburt Jesu und seinem Wiederfinden im Tempel jeweils mit der Bemerkung abschließt: "Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach" (2,19.51).

Fr. Fero M. Bachorík, osm