Maria in der Bibel

Johannesevangelium

 

Wer ist für mich Maria? Wie stehe ich zu ihr? Welche Rolle spielt sie in meiner Beziehung zu Gott? Diese und ähnliche Fragen stellt sich von Zeit zu Zeit jeder Christ, dem die Vertiefung des eigenen Glaubens nicht gleichgültig ist. Eine geeignete Hilfe für solche Glaubensvertiefung findet sich gerade im Johannesevangelium, obwohl sich der Leser bei seiner Betrachtung nicht immer leicht tut. Dieser Text zeichnet sich im Unterschied zu den drei synoptischen Evangelien durch seinen geistlichen Charakter aus. Dies bedeutet, dass der Evangelist bei der Verfassung des Textes (um 100 n. Chr.) bereits eine tiefe Glaubenserfahrung der Urkirche mit hineinfließen ließ. Deshalb wird kein Ereignis aus dem Leben Jesu berichtet, ohne zugleich dem Leser einen Zugang zum tieferen Sinnverständnis dieses Ereignisses zu erschließen. Ähnlich wird auch die Mutter Jesu vorgestellt, nämlich als "Frau", die den Impuls zum ersten messianischen Zeichen gibt und selbst zum Zeichen wird.

Die Hochzeit zu Kana; Bartolomé Esteban Murillo (1618-1682), Birmingham
Die Mutter Jesu war dabei..

Das Johannesevangelium - auch "Buch der Zeichen" genannt - nimmt sich vor, durch eine Reihe von Zeichen, die Jesus bewirkt hat, zu bezeugen, dass er das menschgewordene Wort Gottes ist. Dies wird bereits bei dem ersten Zeichen Jesu in Kana (Kap. 2,1-12) deutlich: "So tat Jesus sein erstes Zeichen, in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn" (Vers 11). Wichtig, bei dieser Offenbarung Jesu in Kana, ist die Anwesenheit seiner Mutter: "Und die Mutter Jesu war dabei" (Vers 1). Warum ist ihre Anwesenheit so bedeutend? Sie ist eine aufmerksame Beobachterin und aktive Helferin. Sie sieht die Not der Brautleute und benachrichtigt davon sofort ihren Sohn: "Sie haben keinen Wein mehr" (Vers 3). Diese Bemerkung lässt das messianische Wirken Jesu erwachen. Obwohl seine "Stunde", die erst im Osterereignis erstrahlt, noch nicht da ist, weist Jesus die Bitte seiner Mutter nicht zurück. Mit der Frage "Was willst du von mir, Frau?" (Vers 4) zeigt er sein Interesse für das gerade angesprochene Anliegen. Die von ihm verwendete Ansprechform "Frau" hat keine abwertende Absicht seiner Mutter gegenüber. Vielmehr lässt sie eine Reihe von biblischen Zusammenhängen erklingen, die mit dem Ausdruck "Frau" in Verbindung stehen, wie z. B. "Frau" von Gen 3 oder "Frau", womit die Stadt Jerusalem bzw. das Volk Israel bezeichnet wird (vgl. Jer 2,2; Ez 16,8; Jes 26,17f usw.).

Was er euch sagt, das tut!

Die Mutter Jesu hat an der messianischen Machtoffenbarung ihres Sohnes keine Zweifel. Deshalb kann sie den Dienern mit Entschiedenheit sagen: "Was er euch sagt, das tut!" (Vers 5). In dieser Aussage entdecken wir wichtige Hinweise für unseren Glauben. Zuerst werden wir an das Sinai-Ereignis erinnert, in dem das Volk Israel bei der Bundesschließung mit Gott feierlich erklärt: "Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun" (Ex 19,8; 24,3.7). Mit derselben Entschiedenheit ertönt in Maria die Stimme des neuen Volkes Gottes, nämlich der Kirche, welche weltweit unermüdlich verkündet, das zu tun, was der Herr gesagt hat. Maria erscheint hier als eine, die auf Jesus hinweist. Sie selbst ordnet sich in die Schar seine Jünger ein, um ihm nachzufolgen (Vers 12). Obwohl der Imperativ Mariens an die Hochzeitsdiener wichtig ist, bleiben für das Weinwunder nur die Worte Jesu maßgebend. Darum wird Maria nie sagen können: "Was ich euch sage, das tut!" Und diese Tatsache bleibt ein sicherer Prüfstein auch für die Bewertung von vielen "Botschaften", die den Marienerscheinungen zugeschrieben werden.

Frau, siehe, dein Sohn! - Siehe, deine Mutter.

Einen zweiten Marientext im Johannesevangelium finden wir im Kap. 19,25-27. Die Golgotaszene betrachtet den gekreuzigten Christus und seine Mutter mit dem Jünger unter dem Kreuze. In seiner "Stunde" vertraut Jesus "den Jünger, den er liebte", seiner Mutter an: "Frau, siehe, dein Sohn!" (Vers 26), und seine Mutter dem Jünger: "Siehe, deine Mutter!" (Vers 27). Dieses gegenseitige Anvertrauen ist wohl mehr symbolisch als geschichtlich; diese Szene spiegelt den Glauben der Urkirche wider, in der Maria bereits große Verehrung genossen hat. Eine vierfache Interpretation ist in diesem Fall möglich: a) Maria symbolisiert das Volk Israel und der Jünger die entstehende Kirche; b) Maria steht für die Kirche und der Jünger für die einzelnen Christen; c) Maria als Mutter Jesu und der Jünger als Gesamtkirche; d) Beziehung zwischen Maria und dem Jünger. Wie der Jünger Maria zu sich nahm (Vers 27), wird sie auch von den Christen als wesentlicher Bestandteil ihres Glaubens angenommen. Schließlich sieht die christliche Tradition hier Maria als mitleidende Mutter - ein wesentlicher Aspekt der Spiritualität des Servitenordens, die uns einlädt, mit Maria bei den unzähligen Kreuzen der Mitmenschen zu stehen.        

Fr. Fero M. Bachorík, osm