Mariendogmen

Maria - die Unbefleckte Empfängnis

 

Die Unbefleckte Empfängnis; Gemälde von Tiepolo
Ein drittes Dogma der katholischen Kirche im Bezug auf die Mutter Jesu reift in einer Zeit heran, in der in der theologischen und anthropologischen Reflexion die Spannung zwischen dem menschlichen Können und der göttlichen Gnade deutlich zunahm. Während einerseits die Meinung vorherrschte, dass der Mensch als Hauptdarsteller der Weltgeschichte auch ohne eine Erlösung, eine Gnade oder einen Gott gut auskommen würde, wurde andererseits die Herrlichkeit Gottes dermaßen betont, dass das Wirken des Menschen als leer, elend und nichtig erschien. Solche Meinungsunterschiede wurden infolge der europäischen Aufklärungsbewegung vom Ende des 18. Jahrhunderts besonders stark. Für den Menschen war es allerdings eine Gelegenheit sich selbst neu zu entdecken und neu zu definieren.

Die Kirche wählte in diesem Prozess einen Weg der „Aufklärung“ in Sachen des Glaubens, indem sie versuchte diesen spaltenden und gegeneinander stehenden Sichtweisen von Menschlichem und Göttlichem ein Glaubensmodell vor Augen zu führen, nämlich die unbefleckt empfangene Jungfrau Maria, in der das göttliche und das menschliche Wirken ineinander gehen. Zu diesem Schritt fühlte sich die Kirche durch einige Gegebenheiten veranlasst. Die erste davon war eine jahrhundertelange Diskussion über die Ursünde (von Adam und Eva stammend) und deren Bezug auf die Jungfrau Maria. Nach der damals stark vertretenen Traduzianismus-Lehre des hl. Augustinus würde sich die Ursünde bei dem Zeugungsakt von den Eltern auf das Kind übertragen; daher der Begriff „Erbsünde“.

Der Ausgangspunkt zur Vermutung, dass es bei Maria anders sein musste, waren die Worte des Engels: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1,28). Nämlich wenn Maria „begnadet“ war, dann heißt es biblisch betrachtet, dass Gott sie gänzlich vor jeder Sünde bewahrte, auch vor der Ursünde. In diesem Sinne spricht der  Franziskaner Duns Scotus (+1308) als erster von der Bewahrung (praeservatio) Mariens vor der Ursünde. Außerdem hat sich der Glaube an die unbefleckte Empfängnis Mariens durch die Jahrhunderte im Volke Gottes immer stärker gemacht. Im Hinblick auf diese Entwicklung und auf die spaltenden Tendenzen jener Zeit in Gesellschaft und Kirche beschloss der Papst Pius IX. diesen Glauben endgültig und feierlich zu bestätigen. In seiner dogmatischen Bulle Ineffabilis Deus vom 8. Dezember 1854 erklärte er „zur Ehre der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, zum Ruhme und zur Verherrlichung der jungfräulichen Gottesmutter, zur Auszeichnung des katholischen Glaubens und zur Förderung der christlichen Religion“, dass „die allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis auf Grund einer besonderen Gnade und Auszeichnung seitens des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers der ganzen Menschheit, von jeder Makel der Ursünde bewahrt blieb“.

Nun ja, für ein katholisches Ohr klingt dies alles als klar, korrekt und selbstverständlich. Worin liegt aber der Sinn dieser dogmatischen Aussage? Nämlich jemand, der sich mit allgemeinen Definitionen und schönen Antworten nicht begnügt, könnte sich z.B. fragen: „Und was habe ich davon, dass Maria ohne Makel empfangen wurde?“ Eine zufrieden stellende Antwort auf eine solche Frage kann sich ergeben, wenn man den ersten Grund dieser dogmatischen Aussage beachtet, und zwar „die Ehre der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit“. Durch das, was an Maria geschah, soll zuerst Gott verherrlicht werden. Denn letzten Endes ist er allein der Ursprung allen Seins und allen Lebens. Er steht am Anfang des Menschenlebens und segnet es (vgl. Gen 1,28). Er steht am Anfang unserer Existenz und stattet sie mit entsprechender Gnade aus. Zwar verehrt die Kirche Maria als herausragendes und vom Evangelium bezeugtes Beispiel dieser Gnadenausstattung (vgl. Lk 1,30.42), aber es heißt nicht, dass jeder andere Mensch ohne Gnade Gottes bleibt. Das „begnadet sein“ kann eher davon abhängen, ob man sich als solcher weiß. Maria war sich ihrer Gnade bewusst, was sie auch mit Freude zum Ausdruck brachte (Lk 1,48-49). „Vorteile“ im weltlichen Sinne hatte sie davon jedoch keine, eher das Gegenteil, etwa nach der Redewendung: „Jede Würde bringt mit sich Bürde“. Es wäre also falsch am Platz auf Maria eifersüchtig zu sein, weil sie „mehr“ Gnade erhielt als alle anderen; oder sich selbst im Leben weniger zu engagieren, weil man „nicht so viel“ Gnade empfangen hat wie Maria. Denn sie wurde berufen mit der ihr geschenkten Gnade mitzuwirken, ebenso wie auch jeder andere Mensch berufen ist, mit der ihm verliehenen Gnade mitzuwirken.

Das Dogma der Unbefleckten Empfängnis erinnert uns also daran, dass wir nur darauf bauen können und sollen, was uns Gott, unser Urheber, als Gnade mitgegeben hat. Wenn es uns gelingt diese Gnade zu entdecken und auf sie zu bauen, dann kann man sicher sein, dass Gott auch durch unser Leben verherrlicht wird.

fr.Fero M. Bachorík OSM