Mariendogmen

Maria - die in den Himmel Aufgenommene

 

Aufnahme Mariens in den Himmel
(Monte Senario, G. Bezzuoli, 1849)
Die geschichtlichen Ereignisse in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sind gleich von zwei Weltkriegen gekennzeichnet. Das Menschenleben und seine Würde erfahren in dieser Zeit grobe Missachtung. Die vom Krieg betroffenen Völker fragen sich, ob dieses oder ein ähnliches Schicksal das Ziel des Lebens sein soll. In diesem tragischen Zeitabschnitt der Weltgeschichte reift das vierte und letzte Mariendogma. Obwohl es mit den erwähnten Ereignissen direkt nichts zu tun hat, ist es für diese Zeit dennoch ein Zeichen der Hoffnung und eine Einladung an die Menschheit, besonders an die katholischen Christen, sich vom Lebenspessimismus zu befreien. Dieses Dogma macht eine Aussage im Bezug auf das „Schicksal“ Mariens am Ende ihrer irdischen Pilgerschaft und ruft damit die bekannten Paulusworte in Erinnerung: „Unsere Heimat aber ist im Himmel“ (Phil 3,20). Deshalb feiert die Kirche diese Glaubenswahrheit auch liturgisch am Hochfest Mariä Himmelfahrt mit besonderem Blick auf die unbefleckte Jungfrau und Gottesmutter Maria.

Die liturgische Tradition der Kirche weist darauf hin, dass der Glaube an die Aufnahme Mariens in den Himmel bereits in den Anfängen der Christenheit ein Thema war. Sonst hätte man das Ereignis der Aufnahme (analepsis), des Übergangs (metastasis-transitus) oder der Entschlafung (koimesis) der Gottesmutter nicht schon seit dem VI. Jahrhundert in der byzantinischen und seit dem VII. Jahrhundert in der lateinischen Kirche feiern können. Außerdem haben zahlreiche Kirchenväter diesen im Volk bereits vorhandenen Glauben ständig vertieft und durch Predigten und Schriften verteidigt und verbreitet, wie z.B. Modestus von Jerusalem (+ um 630), Germanus von Konstantinopel (+740) oder Johannes von Damaskus (+754). Obwohl die Heilige Schrift keinen ausdrücklichen „Beweis“ liefert, dass Maria tatsächlich in den Himmel aufgenommen wurde, bildet sie doch die Grundlage jeglicher Erwägungen in diesem Zusammenhang. Sie zeigt durch konkrete Beispiele, dass Maria von Anfang an bis zum Ende aufs engste verbunden mit ihrem göttlichen Sohn sein Los mit ihm teilte. Sie zeigt ebenso Jesus, der gekommen ist, um das Gesetz zu erfüllen. Als solcher ehrte er seinen Vater und seine Mutter (vgl. Ex 20,12). Deshalb scheint es unwahrscheinlich, dass er, Gottes Sohn, seiner Mutter nach ihrem Ableben nicht die größte Ehre erwiesen und sie zu sich in den Himmel aufgenommen hätte, damit sie mit ihm und dem Vater auch das ewige Los teile.

Im Hinblick auf diese und noch weitere Erkenntnisse und nach sorgfältiger Befragung der Bischöfe aus der ganzen Welt beschloss Papst Pius XII. die Aufnahme Mariens in den Himmel durch die Bulle Munificentissimus Deus vom 1. November 1950 feierlich zu verkünden: “Die unbefleckte, immerwährend jungfräuliche Gottesmutter Maria ist, nachdem sie ihren irdischen Lebenslauf vollendet hatte, mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden.“ Mit dieser Verkündigung stellt die Kirche Maria als Beispiel der vollendeten Erlösung dar. Indem sie an ihre unbefleckte Empfängnis, ihre immerwährende Jungfräulichkeit und ihre Gottesmutterschaft erinnert, ergänzt sie das Lebensbild Mariens mit dem Hinweis auf deren Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit. An diesem Beispiel Mariens wird das Wirken Gottes veranschaulicht: Gott, der Anfang und Ende ist (Off 21,6), berührt den Menschen in seiner Gesamtheit. Das Große, das er an seiner Magd getan hat (Lk 1,49), berührt ihr ganzes Leben und führt es zur Vollendung (vgl. Jes 55,10-11). Der Glaube der Kirche ist nun, dass Gott das Leben der gesamten Kirche und auch jedes einzelnen Menschen in seiner Gesamtheit berührt und es zur Vollendung führt. Außerdem versichert uns dieses Mariendogma, dass jeder, der für Christus lebt und mit ihm stirbt, auch mit ihm leben wird (vgl. 2Tim 2,11). Wer also Jesus nachahmt, bekommt Anteil an seiner Verherrlichung. Maria erhält diese Verherrlichung auf ähnliche Weise wie Christus. Obwohl die Bulle Munificentissimus Deus die Art und Weise der Aufnahme Mariens in den Himmel nicht näher schildert, darf man davon ausgehen, dass Maria, die treue Nachahmerin Jesu, den gleichen Weg gegangen ist wie er, d.h. durch den Tod, das Grab und die Auferstehung in die ewige Herrlichkeit.

fr. Fero M. Bachorík OSM