DIE STIMME GOTTES WAHRNEHMEN
Das Leben des Menschen wird überwiegend von einem bestimmten Glauben geprägt und begleitet. Der Glaube ist dabei vom jeweiligen Herkunftsmilieu oder von konkreten Bezugspersonen abhängig. In den alttestamentlichen Bibeltexten finden wir ein selbsterklärendes Beispiel wie ein Glaube im Herzen des Menschen beheimatet wird und zu keimen beginnt. Die Geschichte mit dem kleinen Samuel, dessen Eltern ihn dem Priester Eli für den Dienst im Tempel überlassen (vgl. 1Sam 3), zeigt wie der Knabe seine ersten Glaubenserfahrungen macht. Im Zentrum dieser Erfahrung steht der Ruf Gottes, den der Knabe noch nicht kennt und Hilfe von anderen Menschen braucht, damit er den Ruf als die Stimme Gottes erkennen kann. Diese Erzählung über Samuel gibt uns eine Idee, wie es etwa um die Glaubensweitergabe steht. Wenn wir nun in den Fokus unserer Aufmerksamkeit die Gestalt Mariens stellen, so können wir davon ausgehen, dass sie ebenso wie alle Kinder aus dem Volk Israel, über ihren Glauben vor allem aus den Erzählungen und den gelebten Traditionen ihrer Eltern erfahren konnte. In der christlichen Ikonographie wird die kleine Maria gerne mit ihrer Mutter abgebildet. Die beiden sitzen meistens vor einer Schriftrolle oder vor einem Buch. Die Darstellung erinnert an einen Unterricht, in dem die Mutter ihrem Kind etwas beibringen möchte.
Selbst unserer Zeit und unserer Kultur sind ähnliche Erfahrungen nicht fremd. Wenn unsere Kindheit irgendwann vorbei ist und wir größer werden, regt sich hie und da dieses in uns gesäte Glaubenskorn immer wieder und wartet darauf, dass wir ihm Möglichkeiten zur weiteren Entfaltung gönnen. Im Leben Mariens zeigt sich als wichtiger Augenblick die Begegnung mit der Stimme Gottes, die zu ihr mittels eines Boten Gottes, des Engels Gabriels, dringt (vgl. Lk 1,26-38). Maria wird bereits als kleines Mädchen oft genug über bestimmte Verheißungen gehört haben, die aus verschiedenen Prophetenschriften ihrem Volk bekannt waren. Und wenn sie nun plötzlich den Gruß des Engels (gr. angelos = Bote) wahrnimmt "Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir", so sind ihr diese Worte nicht ganz neu und unbekannt, denn sie erinnern sie an das, was sie etwa von ihren Eltern oder bei den Besuchen im Tempel gehört haben könnte, wie z.B. die Worte "Juble und freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte - Spruch des Herrn" (Sach 2,14) oder "Juble, Tochter Zion! Jauchze, Israel! Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte" (Zef 3,14.17). Die Worte des Engels wirken somit wie ein Widerhall der alten Verheißungen, die jetzt das Herz Mariens berühren und hoffen, wahrgenommen und aufgenommen zu werden. Maria fällt es zuerst schwer diese Worte richtig einzuordnen und sie überlegt, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Sie sucht Zusammenhänge zwischen den alten Verheißungen und den Worten, die nun an sie persönlich adressiert werden. Um diese Worte als die Stimme Gottes zu erkennen, braucht sie Hilfe wie damals der kleine Samuel. Gabriel, der Bote Gottes hilft ihr und ermutigt sie keine Angst zu haben und versichert ihr, dass Gott um ihre Mitwirkung wirbt; Mitwirkung an einem Lebensprojekt: Gott möchte seinem Volk das neue Leben schenken, dazu braucht er allerdings sie, damit er Einlass in unsere menschliche Welt findet und unsere Welt heilt. Daher auch der Name des Kindes, das von Maria geboren werden soll: Jesus (hebr. Jeshua), d.h. Gott rettet. Diese Begegnung zwischen Maria und dem Engel Gabriel zeigt, wie wichtig es ist, mit der Stimme bzw. dem Wort Gottes zu kommunizieren. Das Wort Gottes braucht einen Dialog und sucht nach einem Dialogpartner. Maria lässt sich auf diesen Dialog ein. Sie lässt sich nicht durch die ursprüngliche Angst lahmlegen, sondern überwindet sie und fasst Mut, Fragen zu stellen. Darin zeigt sich auch die Mündigkeit ihres Glaubens. Gott braucht Menschen mit mündigem Glauben. Nur solcher Glauben kann fruchtbar werden wie bei Maria. Sie scheut es nicht auch die notwendige Frage nach dem "wie" zu stellen. Sie will nicht instrumentalisiert werden, also etwas tun ohne die Konsequenzen zu verstehen, sondern ihre ehrliche und freiwillige Antwort geben nach einer notwendigen Klarstellung. Der Bote Gabriel macht sie auf den Heiligen Geist aufmerksam, nämlich die höhere Macht Gottes, die auch über unsere menschlichen Pläne und Vorstellungen hinaus wirken kann. Gott kann eben auch das Unmögliche bewirken, aber er erwartet sich dazu auch unsere menschliche Zustimmung und Verfügbarkeit. Maria versteht nun diesen Plan Gottes, den sie selbst mittragen möchte, und stimmt ihm bewusst zu, denn sie sieht darin einen Dienst an Gott und an den Mitmenschen. fr. Fero M. Bachorík OSM |