Maria in den Konstitutionen der Serviten:

Maria - eine tätige Gegenwart

 

Pietà (Sieger Köder)
In der Tradition der Ordensgemeinschaften spricht man vom Charisma. Dieses griechische Wort bedeutet Gnadengabe und im Christentum nimmt es Bezug auf die Paulusworte: „Strebt nicht über das hinaus, was euch zukommt... Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade“ (Röm 12,3.7f). Aus dieser Überzeugung heraus wurden die vielen Ordensgemeinschaften gebildet, um durch ihre besondere Gnadengabe in dieser Welt zu wirken. Die Ordensgemeinschaft der Serviten fühlt sich in der christlichen Liebe nach der Lebensweise Mariens verpflichtet, deshalb hält sie diesen Aspekt auch in ihren Konstitutionen fest: „Als Diener Mariens wollen wir die christliche Liebe leben und bezeugen. Aus dem Wunsch heraus, dem Charisma des Ordens Gestalt zu geben, stellen wir uns in den Dienst der anderen. So führen wir in der Heilsgeschichte die tätige Gegenwart der Mutter Jesu weiter“ (Art. 73).

Die tätige Gegenwart der Mutter Jesu hat sich vor allem in den vermittelten Gnaden erwiesen, welche auf ihre Fürsprache oder durch ihr einfaches „Da-Sein“ den Menschen gewährt wurden: So etwa die Gnade des Glaubens an Jesus, der durch Maria zum ersten „Zeichen“ bewegt wurde und seine Herrlichkeit offenbarte (Joh 2,11); oder die Gnade den Heiligen Geist zu empfangen, welche der mit Maria im Gebet versammelten Christengemeinschaft zuteil wurde (Apg 1,13-14; 2,1ff). Eine Fortführung solcher tätigen Gegenwart Mariens sehen die Konstitutionen in der Seelsorgetätigkeit auf den Marienwallfahrtsorten: „Die Gemeinschaft der Serviten, denen die Obhut und Betreuung von Wallfahrtsorten anvertraut ist, wo sich die Fürsprache Mariens in besonderer Weise zeigt, sollen Zentren liturgischen und eines von Buße und Umkehr geprägten Lebens, sowie Quellen der Spiritualität und echter Volksfrömmigkeit sein“ (Art. 84). Die Wallfahrtsorte sind oft als Orte der Heilserfahrung bekannt. Die Sehnsüchte, Erwartungen und Lebensziele der Menschen streben grundsätzlich nach Heilung, nämlich nach einer inneren und äußeren Befreiung, sei es von Krankheiten oder sozialen Problemen, von Schuldgefühlen oder seelischen Verletzungen. Nicht selten wird das Gefühl der Geborgenheit dort vor der Gnadenmutter spürbar. Die Serviten sehen ihre Aufgabe an den ihnen anvertrauten Wallfahrtsorten vor allem darin, dass dort die Rahmenbedingungen für eine Begegnung der Pilger mit der Gnadenmutter geschaffen werden und gesichert bleiben, damit die tätige Gegenwart Mariens bewusster erlebt werden kann. Darüber hinaus erinnern die Konstitutionen im Schlusswort an das Ideal, „Christus in seiner vollendeten Gestalt darzustellen“. In diesem Bestreben sollen die „Beziehungen zu den Geschöpfen nur von Frieden, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und aufbauender Liebe getragen sein“.

Es ist eine Berufung und ein Auftrag, der sich ohne die notwendige Gnadengabe nicht verwirklichen lässt. Der Diener Mariens soll sich daher von der „Gestalt Mariens zu Füßen des Kreuzes“ inspirieren lassen; dieses Leitbild ist nämlich ein Bestandteil des Ordenscharismas der Serviten. Jenes Bewusstsein, dass die tätige Gegenwart Mariens auch heute „unter dem Kreuz“ zu vermuten ist, richtet den Blick des Bruders auf die mit einem Kreuz beladenen Menschen, in denen der „Menschensohn noch immer gekreuzigt ist“. Deshalb „wollen wir, die Diener seiner Mutter mit ihr zu Füßen der unzähligen Kreuze stehen, um Trost und erlösende Mitarbeit zu bringen“ (Art. 319). Man könnte sagen, ein bescheidenes Vorhaben... Denn wem in der heutigen Welt reicht es schon, „nur“ getröstet zu werden? Der Mensch mit seinen unzähligen Leiden, Belastungen und Problemen erwartet sich in den kritischen Momenten, dass seine Helfer(innen), die selbst mit ihren Kreuzen beladen sind, ihm seine Lasten abnehmen, seine Probleme lösen, sein Leben zum Besseren ändern. Doch da stehen selbst die Helfer(innen) oft hilflos da. Aber sie bleiben stehen und laufen nicht davon... Vielleicht ist in dieser Haltung des „Aushaltens unter dem Kreuz der anderen“ der Anfang der erlösenden Mitarbeit zu sehen. Und das ist ein weiteres Zeichen der tätigen Gegenwart der Mutter Jesu in uns.

fr. Fero M. Bachorík OSM