Paul VI. und die Erklärung „Mater Ecclesiae“
Fast zehn Monate dauerte die Pause zwischen der ersten und der zweiten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Kirche erhielt in dieser Zeit einen neuen Papst. Im Juni 1963 wurde Paul VI. als Nachfolger Johannes XXIII. in sein Amt eingeführt. Drei Monate später, am 29. September, begann die zweite Konzilsperiode. An dem geplanten Konzilsdokument über Maria wurde zwischen den beiden Konzilsperioden intensiv gearbeitet, vielfältig waren jedoch auch die Meinungsunterschiede in den Vorbereitungskommissionen.
In Bezug auf die Entwicklung dieses Dokuments zeigte sich der neue Papst sehr interessiert, aber auch etwas besorgt. Im Rahmen der Gedenkfeier anlässlich des Jahrtags der Konzilseröffnung brachte er am 11. Oktober in der Basilika S. Maria Maggiore diese Sorge im folgenden Gebet zum Ausdruck: „Gib, o Maria, dass diese seine (von Christus) und deine Kirche, während sie im Begriffe steht sich selbst zu definieren, dich erkennt als ihre Mutter und Tochter und auserwählte Schwester, als ihr unvergleichbares Modell, ihre Ehre, ihre Freude und ihre Hoffnung.“ Selbst während der zweiten Konzilsperiode musste der Papst wahrnehmen, dass es für die Konzilsväter nicht leicht war, sich an bestimmten Marientiteln zu einigen. Unter anderen wurde der Titel „Mater Ecclesiae“ Mutter der Kirche diskutiert. Zahlreiche Konzilsväter haben diesem Titel gegenüber ihre Bedenken geäußert und waren deshalb gegen die Aufnahme dieses Titels in das Mariendokument. Doch Paul VI. war wie viele andere Konzilsväter von der Bedeutung dieses Titels überzeugt und bemüht, in seinen Ansprachen darauf ständig aufmerksam zu machen, so z. B. auch in seiner Rede bei der Schließung der zweiten Konzilsperiode am 4. Dezember 1963: „In der Frage bezüglich des Dokuments über die selige Jungfrau Maria erwarten wir die beste Lösung, wie es sich für dieses Konzil ziemt; nämlich die einstimmige und ehrfurchtsvollste Anerkennung dessen,welch äußerst privilegierten Platz die Mutter Gottes in der heiligen Kirche einnimmt: den höchsten nach Christus und den nächst gelegenen für uns, sodass wir sie mit dem Titel „Mater Ecclesiae“ verehren können, ihr zur Ehre und uns zum Trost.“ Die Suche nach der passenden Lösung für diese Frage wurde fortgesetzt und dauerte weitere zehn Monate. Erst während der dritten Sitzungsperiode des Konzils (15. September - 21. November 1964) zeichnete sich ein Ausweg ab, allerdings nicht ganz nach den Erwartungen des Papstes. Die Konzilsväter erzielten zwar die Schlussform des Mariendokuments, bevorzugten es aber in diesem den Titel „Mutter der Kirche“ nicht zu erwähnen. Gründe, die dazu geführt haben, waren z.B. jene Bedenken, dass dieser Titel den Eindruck erwecken könnte, Maria würde außerhalb der Kirche stehen; andere wiesen darauf hin, dass dieser Titel keine Wurzeln in der Tradition der Kirche habe; wieder andere machten sich Sorgen über die Auswirkung auf den ökumenischen Dialog. Trotz der Ablehnung seitens des Konzils war Paul VI. überzeugt, das Richtige zu tun, und kündigte bei der Audienz am 18. November seine Entscheidung an, den Marientitel „Mater Ecclesiae“ bei der Schließung der dritten Konzilsperiode offiziell erklären zu wollen. Es sei bemerkt, dass diese Entscheidung des Papstes von einer schriftlichen Stellungnahme einiger Konzilsväter unterstützt wurde, die seine Meinung teilten. Diese päpstliche Ankündigung rief unter einigen Konzilsvätern verständlicherweise gewisse Missstimmung und inneres Unbehagen hervor. Manche interpretierten diese Geste des Papstes als Beleidigung des Konzils. Am 21. November, dem Fest der Darstellung Mariens im Tempel, wurde die dritte Konzilsperiode abgeschlossen. Bei diesem Anlass promulgierte Paul VI. das Konzilsdokument über Maria und erklärte feierlich den neuen Titel, mit dem die heilige Jungfrau in der Kirche angerufen werden soll, mit folgenden Worten: „Zur Ehre der Jungfrau und zu unserem Trost erklären wir die heiligste Maria zur Mutter der Kirche, nämlich des ganzen Gottesvolkes, sowohl der Gläubigen als auch deren Hirten.“ Hiermit wollte der Papst auf den Platz hinweisen, den das Konzil Maria in der Kirche anerkannt hat. Ein anschließender langer Applaus seitens der Bischöfe und der Gläubigen galt für diese päpstliche Erklärung als Ausdruck der Zustimmung. Die Beobachter berichten, dass ca. 1/5 der anwesenden Bischöfe und Kardinäle diese Freude nicht teilte, offensichtlich aus Rücksicht auf die ökumenischen Bestrebungen; zu dieser Gruppe gehörten auch die deutschen Oberhirten, die Vertreter der Orthodoxen und der Nicht-Katholiken. fr. Fero M. Bachorík OSM |