Lumen Gentium und das Mariendokument
Als der Textentwurf des Mariendokuments im November 1962 den Konzilsvätern zur ersten Diskussion vorgelegt wurde, erhielt er nicht die volle Aufmerksamkeit. Nicht dessen Inhalt war der Grund, sondern die Priorität des Konzils zuerst das Dokument über die Kirche diskutieren zu wollen. Im Laufe dieser Diskussion entstand jedoch die Idee, dass dieses ursprünglich als selbständig gedachte Mariendokument in das Dokument über die Kirche eingegliedert werden könnte. Zwischen der ersten und der zweiten Konzilsperiode erfolgte also eine Befragung, bei der die Konzilsväter ihre Meinungen zu diesem Thema schriftlich einbringen konnten. Bei der Abstimmung am 29. Oktober 1963 hat sich dann das Konzil für diese Eingliederung ausgesprochen.
Die Kardinäle Santos und König wurden beauftragt die noch am Text zu machenden Verbesserungs- und Redaktionsarbeiten zu beaufsichtigen. Die lange Arbeit erreichte ihr Ziel. Ein fertiges Mariendokument mit dem Titel: „Die selige Jungfrau und Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche“ wurde Teil der dogmatischen Konstitution über die Kirche, die den Namen Lumen Gentium" trägt. Am 21. November 1964 hat das Konzil dieses Dokument mit 2151 Ja- gegen nur 5 Nein-Stimmen angenommen. Die in Lumen Gentium enthaltene Konzilslehre über das Wesen und die Sendung der Kirche in der Welt kann daher als Frucht des einen Glaubensgeistes betrachtet werden. Welche Themen behandelt nun die aus 8 Kapiteln bestehende dogmatische Konstitution? Das Mysterium der Kirche; das Volk Gottes; das Bischofsamt und die hierarchische Verfassung der Kirche; die Laien; die allgemeine Berufung zur Heiligkeit; die Ordensleute; die Verbundenheit der pilgernden Kirche mit der Kirche des Himmels. Im Kapitel 8, unter den Nummern 52-69, wird schließlich die Glaubenslehre über Maria vorgestellt. Die einleitenden Artikel 52-54 richten ihre Aufmerksamkeit auf das Erlösungswerk Christi, in das Maria eingebunden ist. Mit Christus ist sie in unauflöslicher Verbindung geeint. Als seine Mutter ist sie auch Mutter der Glieder Christi - der Gläubigen, zu denen sie selbst gehört. Die Kirche betrachtet sie als ihren Typus und Urbild im Glauben und in der Liebe. Daher sieht sich das Konzil verpflichtet sowohl die Aufgabe Mariens im Geheimnis Christi und der Kirche als auch die Pflichten der erlösten Menschen gegenüber der Gottesgebärerin zu beleuchten. In den weiteren Artikeln 55-59 wird anhand von Aussagen der Heiligen Schrift dokumentiert, wie die Aufgabe, Mutter des Erlösers zu sein, von Anfang an Maria zugedacht war. Bewusst hat Maria nicht nur diese Aufgabe wahrgenommen, sondern auch die ersten Schritte der Urkirche nach dem Osterereignis Christi begleitet, bis sie selbst ihren Lebenslauf vollendet hat und mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde. Eine Darlegung über das Verhältnis zwischen Maria und der Kirche ist in den Artikeln 60-65 zu finden. Ganz am Anfang wird betont, dass es zwischen Gott und den Menschen nur eine einzige Mittlerschaft gibt, nämlich durch Christus. Maria mit ihrer Mitwirkung an der Wiederherstellung des Lebens für die Seelen ist ebenfalls von dieser Mittlerschaft Christi abhängig. Da sie sich aber für ihre mitwirkende Aufgabe in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und Liebe der Gnade Gottes völlig zu öffnen vermag, kann sie als unsere Mutter in der Ordnung der Gnade von uns als Fürsprecherin, Helferin, Beistand und Mittlerin angerufen werden. Im ähnlichen Sinne wird auch die Kirche Mutter, indem sie das Wort Gottes annimmt und den Gläubigen durch die Verkündigung und die Sakramente das ewige Leben vermittelt. Es folgen die Artikel 66-67, in denen es um die Verehrung der seligen Jungfrau geht. Das Konzil anerkennt, dass der erste Platz in der Verehrung vor allen Engeln und Heiligen der Gottesmutter zukommt. Gleichzeitig aber erinnert es daran, dass diese Verehrung nicht mit Anbetung zu verwechseln ist, denn diese wird dem dreieinigen Gott allein dargebracht. Die Verehrung der Heiligen Jungfrau soll aber nicht das Ziel in sich sein, sondern sie soll in den Gläubigen bewirken, dass der Sohn des ewigen Vaters richtig erkannt, geliebt, verherrlicht wird und seine Gebote beobachtet werden. Den Seelsorgern und Theologen wird nahegelegt, sich jeder falschen Übertreibung aber auch zu großer Geistesenge bei der Betrachtung der einzigartigen Würde der Gottesmutter zu enthalten. Die Gläubigen sollen darauf achten, dass ihre Marienandacht nicht in unfruchtbarem Gefühl oder einer Leichtgläubigkeit besteht, sondern aus dem wahren Glauben, der uns alle antreibt, die Tugenden Mariens nachzuahmen. Die abschließenden Artikel 68-69 stellen uns Maria als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes vor Augen. So wie sie, kann auch das Gottesvolk die Vollendung seiner irdischen Pilgerschaft in der ewigen Herrlichkeit erhoffen. fr. Fero M. Bachorík OSM |