verfasst: im Oktober 2006

Ehemaliges Servitenkloster "St. Peter und Paul"

in Gratzen/Nóve Hrady, Südböhmen

 
Die „Wende“ 1989 in den Ostblockstaaten läutete eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung auch für die Kirche ein. Viele Orden konnten in Länder Osteuropas zurückkehren und Niederlassungen, die von den Kommunisten geschlossen worden sind, wieder übernehmen. Nach schwierigen Verhandlungen konnten auch wir Serviten 1991, dank des einzigen damals noch lebenden Serviten in Tschechien, P. Kasimir M. Jindra, nach Gratzen/Nóve Hrady in Südböhmen, Tschechien, zurückkehren und das dortige Servitenkloster zurückerhalten. Die Kirche war nicht zerstört worden, befand sich aber trotzdem in einem erbarmungswürdigen Zustand. Das Kloster hingegen, welches jahrelang von Soldaten als Kaserne benutzt worden war, war von oben bis unten baufällig.

Servitenkirche und -kloster vor (oben) und nach der Renovierung (unten)

Blick vom Hauptplatz auf die Kirche

Es folgten schwierige Jahre des Wiederaufbaus und der Renovierung, die nur dank unzähliger Wohltäter geleistet werden konnten. Der erste Servitenpater, P. Bonfilius M. Wagner, der ins Kloster zurückgekehrt ist, war ein gebürtiger Gratzner. Er und seine Familie waren nach dem zweiten Weltkrieg vertrieben worden – ein Schicksal, das viele Tausende Sudetendeutsche ereilt hatte. 1994 schließlich konnte der 1677 gegründete und 1950 aufgehobene Konvent wieder offiziell geöffnet werden. Als erster Prior kam P. Gerhard M.  Walder nach Gratzen. Ein weiterer Mitbruder, P. Vittorio Antollovich von der venetianischen Ordensprovinz, war eine willkommene Hilfe. Auch P. Kasimir M. zog nach einigen Jahren ins Kloster ein, sodass die Gemeinschaft vier Mitglieder zählte. Die Patres übernahmen die Seelsorge der Pfarre Gratzen „St. Peter und Paul“ sowie weiterer umliegender Pfarren und die Wallfahrtsseelsorge des nahe gelegenen Marienwallfahrtsortes Brünnl/Dobra Voda.

Die Gemeinschaft von Gratzen (1998): P. Vittorio M., P. Bonfilius M., P. Kasimir M. (1., 2. und 3. von rechts) und P. Gerhard M. (2. von links);
zu Besuch aus Wien: fr. Johann Paul M., P. Gregor M. und fr. Fero M. (1., 3. und 4. von links).

Nach dem Tod von P. Kasimir M. (30.09.1999) und P. Vittorio M. (23.02.2002) sowie nach dem Fortgang von P. Gerhard M. (2000)  begann sich abzuzeichnen, dass es für die Tiroler Servitenprovinz aus verschiedenen Gründen zunehmend schwieriger wurde, Gratzen zu betreuen. P. Bonfilius M. war bis zum äußerten Einsatz bereit, doch sein Gesundheitszustand verschlechterte sich unerwartet schnell.

Bei einem außerordentlichen Provinzkapitel in Innsbruck im Februar 2005 beriet die Provinz über die Zukunft von Gratzen. Die Provinzgemeinschaft brachte einhellig ihren Dank und ihre Anerkennung für die großartige Aufbauleistung zum Ausdruck, die in Gratzen geleistet worden war, und gedachte in Dankbarkeit der beiden damals bereits verstorbenen Brüder, P. Kasimir M. und P. Vittorio M. Nach eingehenden Beratung wurde dann, mitgetragen von allen Kapitularen und Betroffenen, der Beschluss gefasst, eine religiöse Gemeinschaft zu suchen, die in Zukunft Gratzen betreuen könnte. Das Grundanliegen dieser Entscheidung war es, Servitenkloster und -kirche in Gratzen möglichst fruchtbringend für die Kirche in Südböhmen zu nutzen. Unsere Provinz hätte dies, besonders aufgrund der personellen Entwicklung, nicht mehr gewährleisten können. P. Bonfilius M. hatte bereits Kontakt mit der Gemeinschaft der Familie Mariens aufgenommen, deren Gründer er gut kannte und die ab August 2005 in Gratzen zu wirken begann und auch den Wallfahrtsort Maria Brünnl betreute. Am 11. Oktober 2005 verstarb P. Bonfilius M.

Am 22. Juli 2006 schließlich konnte der Vertrag unterzeichnet werden, der die Übernahme des Klosters durch die Gemeinschaft der Familie Mariens mit Wirksamkeit zum 1. Oktober 2006 regelte. Das Unterzeichnungsdatum war nicht zufällig gewählt, der 22. Juli ist nämlich der Gründungstag der Gemeinschaft der Familie Mariens. Der neuen Gemeinschaft ist es wichtig, in Kontinuität mit der Tradition der Serviten zu wirken, aber auch neue Akzente zu setzen. So ist es ihr Wunsch, das nunmehr ehemalige Servitenkloster „Kloster der Barmherzigkeit“ zu nennen.

Unterzeichnung des Vertrags in Gratzen: (von rechts) Verwalter Michal, Prior fr. Fero M. OSM,
P. Tomás FMM und P. Radoslav FMM

Auch wenn wir Serviten aus personellen Gründen die Präsenz in Gratzen nicht mehr gewährleisten konnten, kann das Kloster weiterhin im Dienste der Evangelisation fruchtbar genutzt werden zum Aufbau des Reiches Gottes in diesem Gebiet. Unsere besondere Dankbarkeit gilt den drei inzwischen verstorbenen Mitbrüdern fr. Kasimir M., fr. Vittorio M. und fr. Bonfilius M. sowie den vielen Wohltätern, die den Wiederaufbau und die Renovierung von Servitenkloster und -kirche in Gratzen ermöglicht haben. Die Gemeinschaft der Familie Mariens kann nun das Kloster mit neuem Leben erfüllen und weiter zu einem geistigen und kulturellen Zentrum und Begegnungsort ausbauen, zum Wohle der Kirche in Südböhmen. Wir wünschen der neuen Gemeinschaft Gottes reichen Segen auf die Fürsprache Mariens, der Schmerzhaften Mutter, und hoffen, dass sie in Südböhmen fruchtbar wirken, aber auch selbst Wurzeln schlagen kann.



Die Gemeinschaft der

Rodina Marie - Familie Mariens, der Miterlöserin (FMM),

stellt sich vor

von Sr. Agnes FMM, Generalleiterin

Dass unsere Gemeinschaft Familie Mariens heute in Gratzen tätig ist, wurde von der göttlichen Vorsehung schon vor vielen Jahren in Innsbruck vorbereitet. Dort lernten P.Bonfilius M. und P. Paul Maria Sigl, der Mitgründer und geistige Leiter der Gemeinschaft, einander kennen. Seither verband sie eine tiefe Freundschaft, die auch nicht aufhörte, als P. Paul für einige Semester zum Studium nach Rom ging und später dann in die Slowakei, um am Aufbau des bischöflichen Gymnasiums in Nitra mitzuarbeiten. Zusammen mit Seiner Exzellenz, Bischof Paul Maria Hnilica SJ, kam es in Rom zur Gründung der Gemeinschaft PDF „Pro Deo et fratribus“ (Für Gott und die Brüder) – Familie Mariens, der Miterlöserin (FMM), die seit 1995 päpstliche Anerkennung besitzt.

Zurzeit zählt unsere Gemeinschaft 38 Priestern, ca. 50 Brüdern, von denen die meisten in Rom an der Gregoriana studieren, und 160 Schwestern, deren Mutterhaus sich in der Slowakei befindet.Im Sommer 2004 nun wandte sich unser Mitbruder, P. Bonfilius M., an uns und bat um Hilfe. Die Weichen für die Gratzener Zukunft waren gelegt. Da sich eine große Nähe in der Spiritualität findet – besonders durch die gemeinsame Verehrung der Schmerzensmutter – und sowohl slowakisch sprechende Priester als auch Schwestern zur Verfügung standen, nahmen die Verantwortlichen unserer Gemeinschaft die Einladung, nach Tschechien zu kommen, an.

Die Gemeinschaft der Familie Mariens in Gratzen, zwei Patres und vier Schwestern,
am Krankenbett des inzwischen verstorbenen P. Bonfilius M. Wagner

Wir sehen es als ein Privileg an, die missionarische Arbeit in Maria Brünnl und im Gratzener Kloster weiterzuführen, das mit Hilfe von so vielen Wohltätern und der Tiroler Servitenprovinz restauriert worden ist. Unsere Gemeinschaft besitzt schon langjährige Missionserfahrung in sogenannten ehemaligen Ostblockländern, da wir bereits seit 1991 in Russland, Sibirien und Kasachstan, in Baschkortostan, der Ukraine und in der Slowakei feste Niederlassungen haben. Dieses Missionsgebiet wurde unseren Brüdern und Schwestern 1990 von Papst Johannes Paul II. selbst als wichtigstes und dringlichstes ans Herz gelegt.

Mittlerweile unterhalten wir auch eine Missionsstation in Uruguay und wirken pastoral in Italien. Auf Einladung des Bischofs von Haarlem/Amsterdam betreuen wir die Kapelle der Frau aller Völker in Amsterdam und setzen sich in der Stadtmission ein. Unsere Spiritualität ist geprägt von Liebe zu Maria, von priesterlichem Geist und Treue zum Papst. Sie ist natürlich missionarisch orientiert und strebt nach wahrer Ökumene. Dabei ist uns ein zentrales Anliegen, die unerschöpfliche Barmherzigkeit Gottes, so wie sie der hl. Faustina geoffenbart wurde, allen Menschen zu bringen, vor allem jenen, die sie am meisten brauchen. Eine in 6 Sprachen (deutsch, slowakisch, englisch, italienisch, niederländisch und französisch) herausgegebene Missionszeitschrift Triumph des Herzens, die zweimonatlich erscheint, gibt sowohl Einblick in unsere spirituelle Ausrichtung als auch in unsere missionarischen Aktivitäten.

P. Bonfilius M. durfte zu seiner großen Freude in den letzten Wochen seines Lebens den „neuen Gratzener Frühling“, wie er es immer nannte, noch erleben, denn seit August 2005 arbeiten definitiv 2 Priester und 4 Schwestern unserer Gemeinschaft im ehemaligen Pfarreigebiet der Serviten in Gratzen und Umgebung.