verfasst: im Mai 2008 Serviten in ACRE in Amazonien, Brasilien Als 1920 die ersten Serviten nach Acre kamen, fanden sie eine von jahrelangen harten Auseinandersetzungen und Kämpfen geschwächte und zerstörte Region vor. Acre ist ein relativ kleines Gebiet inmitten des amazonischen Urwaldes, das bis 1903 zu Bolivien gehörte. Weil damals immer mehr Brasilianer in den Urwald vordrangen, um Kautschuk zu gewinnen, „verpachtete“ Bolivien Acre einer privaten amerikanischen Gesellschaft, die die Naturreserven der Region ausbeuten sollte. Aufgrund wirtschaftlicher Interessen und demografischer Entwicklungen wurde Acre schließlich praktisch eine Kolonie Brasiliens. Unabhängigkeitsbestrebungen und Widerstände gegen die brasilianische ebenso wie gegen die bolivianische Regierung ließen das Land nicht zur Ruhe kommen, vor allem in den Jahren 1910-1912 gab es heftige und blutige Aufstände gegen Brasilien mit dem Erfolg einer vorübergehenden Unabhängigkeit der drei Teilregionen, in die Acre unterteilt worden war. 1920 wurde die Region schließlich definitiv dem brasilianischen Staat eingegliedert. Für das daniederliegende Acre bedeutete dies einen Wendepunkt. Epidemien sowie der Preisverfall des Kautschuks bewirkten große Abwanderungswellen, politisch war die Region isoliert, die Zentralregierung zeigte wenig Interesse am Wiederaufbau des Gebietes. Die wirtschaftlichen Glanzzeiten waren vergangen. Die hier ansässige Indio-Bevölkerung war der Armut preisgegeben, viele lebten im Elend. Die ersten vier Serviten, die 1920 in die Region kamen, waren von
Für die Missionare war dies mit großen Gefahren verbunden, einige starben an Krankheiten oder an den Strapazen der Reise, ohne medizinische Hilfe oder geistlichen Beistand. Erst 1960 wurde Acre zu einem eigenständigen Staat Brasiliens erhoben. Die kirchliche Entwicklung in diesen Jahren wurde stark durch den Aufschwung der lateinamerikanischen Befreiungstheologie geprägt. Die konkrete soziale Arbeit richtete sich direkt und frontal gegen das System des Großgrundbesitzes. In der Regel ausländische Spekulanten hatten riesige Flächen angekauft und zwangen die ansässige Bevölkerung in Arbeitsverhältnisse, die praktisch moderner Sklaverei gleichkamen, oder sie vertrieben sie einfach. Damals kamen drei Serviten nach Acre, die heute noch trotz ihres fortgeschrittenen Alters dort wirken und inzwischen durch ihren Einsatz für die Indios und die Erhaltung des Regenwaldes weit über Brasilien hinaus anerkannt sind: fr. Paolino M. Baldasari, fr. Ettore M. Turrini (im Bild) und der spätere Bischof Dom Moacyr M. Grechi. Sie förderten im Sinne einer ins Praktische gewandten „Ekklesiologie von unten“ bewusst die Basisgemeinden, die unverzichtbar geworden sind nicht für das Überleben der Kirche in dieser Region, sondern auch für die Entwicklung von lebendigen Gemeinden, die keinen Priester haben. Viele dieser Gemeinden, die vielfach erst nach mehrtägigen abenteuerlichen Reisen auf Flüssen und durch unwegsame Urwälder erreicht werden, können auch heute noch nur einmal im Jahr von einem Priester besucht werden. Dieser Besuch wird dann „desobriga“ genannt, was soviel wie „Entpflichtung“ bedeutet, weil die Gläubigen bei diesem Anlass beichten und die heilige Eucharistie feiern und somit ihre religiöse Pflicht erfüllen können. Auf diesen Reisen konnten die Patres die atemberaubende Schönheit ebenso wie den enormen Reichtum des amazonischen Regenwaldes kennen lernen, sie wurden aber auch Zeugen der Zerstörung des Regenwaldes durch Raubbau und Brandrodung, im Besonderen aber der unwürdigen Schikanierung und Vertreibung der Indios. Die Kirche unter der Leitung von Bischof Moacyr M. Grechi hat sich in diesen Jahren zur prophetischen Anklägerin dieser Missstände und Verstöße gegen die Menschenrechte gemacht und sich dabei viele Feinde gemacht. Morddrohungen, Nachstellungen, Verleumdungen waren die Folge. Viele Priester, Laien, Leiter und Leiterinnen von Basisgemeinden wurden umgebracht, unter ihnen auch der heute weltweit bekannte Kautschuksammler und Umweltschützer Chico Mendes. Heute macht Acre einen weiteren kulturellen Wandel durch. War die Region jahrelang als „gesetzlos“ verschrieen, wo jeder tun und lassen konnte, was er wollte, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, kommt heute der Anspruch seitens der Indios unaufhaltsam zum Durchbruch, dass man ihnen die Menschen- sowie sozialen Rechte zuerkennt, zu denen die Nutzung und Erhaltung „ihrer Erde“ ebenso gehört wie die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschenrechte oder der Zerstörung des Regenwaldes. Dieses erwachte Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung wäre ohne das jahrelange Wirken der Serviten in dieser Regioin kaum möglich geworden. Die Präsenz der Serviten in Acre tritt aber auch deshalb in eine neue Phase, weil dem Orden in den letzten Jahren viele Berufungen aus der indigenen Bevölkerung geschenkt worden sind. Inzwischen sind es die brasilianischen Brüder selbst, die sich für die Erhaltung der Schöpfung, „ihres“ Regenwaldes, sowie für die Wahrung der Rechte ihrer eigenen Leute einsetzen und die vorrangige Option für die Armen, aus deren Reihen sie selbst kommen, leben. Diese neue Generation von Serviten bewahrt die ersten Brüder und Schwestern, die vor über achtzig Jahren nach Acre kamen, in dankbarer Erinnerung. fr. Carlos M. Paula de Moraes OSM, Acre
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